Die Wirksamkeit von PLACEBOS

01.09.23 12:00 AM Von Dr. med. Klaus Mohr

Das ist doch bloß ein Placebo. Abfällig wird das manchmal so dahergeredet, gerade über präventiv oder therapeutisch genutzte Naturstoffe. Etwas verärgert auch, denn da gibt es doch einige Patientinnen/Patienten, die aus persönlicher guter Erfahrung von besonderen Naturstoffen überzeugt sind. Als Einbildung wird deren Erleben abgetan. Als Placebo eben. Dass damit zum Kampfwort missbraucht wird. Statt zum Segen.

Placebo- und Nocebo-Wirkung

Ironischerweise werden Placebos speziell in der evidenzbasierten Medizin eingesetzt, obgleich nur als Scheinmedikamente, die an die Probandinnen/ Probanden in den Kontrollgruppen verabreicht werden. Im placebokontrollierten Doppelblindversuch, der als Goldstandard im Studiendesign gilt, dürfen Teilnehmende zudem nicht wissen, ob sie das Prüfmedikament (Verum) oder ein gleichbeschaffenes Mittel ohne diesen Wirkstoff verabreicht bekamen. 


Naiv könnte man da fragen: wozu dieser Aufwand? Könnte man nicht gleichgut der einen Gruppe den neuen Wirkstoff andienen und der ähnlich zusammengestellten Vergleichsgruppe gar kein Mittel? Das geht natürlich gar nicht, weil auch in der evidenzbasierten Medizin irgendwie bekannt ist, dass jedes Mittel, jede Maßnahme, wie gut oder schlecht, wie wirksam oder unwirksam, wie sinnvoll oder wie substanzlos, sinnlos und unvernünftig sie auch sein mag, bei der Anwendung im Menschen irgend eine Wirkung auslöst, bzw. verursacht. Im günstigen Fall kann das eine Placebo-Wirkung sein, dann geht es den Probandinnen/Probanden (über die sogenannte Verum-Wirkung hinaus besser. Im ungünstigeren Fall wird das eine Nocebo- Wirkung sein, dann geht es den Untersuchten daraufhin schlechter. 

Nocebo in der Medizin 

Wenn man Patientinnen/ Patienten zuhört, treten heute, gerade in der evidenzbasierten und eingreifenden Medizin die Nocebo-Wirkungen signifikant häufiger auf. Die Ursachen dieses irritierenden Phänomens sind komplex, sind einerseits in den vielversprechenden Möglichkeiten der modernen Medizin zu finden, in geringer Selbstverantwortung und Selbstbeteiligung, und andererseits in hohen und unerfüllten (schwer erfüllbaren) Erwartungen unserer Gesellschaft. Patienten und Patientinnen, die über die Defizite dieser Medizin klagen, sollten dabei auch das Ausmaß ihrer eigenen Ansprüche sowie die Realität im Blick haben. Wenn beispielsweise ein Patient sagt , „ich brauche dringend ein MRT, weil mir das vor einem halben Jahr so gut geholfen hat”, macht das schon nachdenklich. Gewiss, das kann damals notwendig und maßgeblich gewesen sein. Wie weit aber ist dieser Bedarf aktuell realistisch? Oder subjektiv? Wird dieses MRT nun zu einer Placebo-Maßnahme? Und mehr noch: wie viele Leute kommen aus der MRT-Diagnostik mit wenig krankheitsrelevanten, obgleich auffälligen Befunden – und sehen sich fortan als schwer krank? Manch ein Nocebo Effekt ist so entstanden. Andererseits hat diese Art Diagnostik schon die eine oder andere schwere – und bei frühzeitigem Erkennen- noch effektiv therapierbare Organläsion entdeckt. Das hätte keinesfalls unterbleiben dürfen. Den Mittelweg zwischen Notwendigem und Überflüssigem (das die Ressourcen für Notwendiges abzweigt) bis Schädlichem zu finden, ist immer schwierig. Zumal all das ausreichend vielleicht sogar mehr als ausreichend, zur Verfügung steht, wenn auch mit Wartezeiten. Und in der Regel von den Krankenkassen/Sozialkassen ohne Zuzahlung finanziert wird. Merkwürdig, dass ein klärender (hoffe ich) Text zu den Wirkungen von Placebos bzw. Nocebos mitten in unser Sozialsystem der gesetzlichen Krankenkassen und die Möglichkeiten der technisierten Medizin führt.

Warum Placebo in Studien?

Ausgegangen waren wir jedoch von der Frage warum gerade die evidenzbasierte, scheinbar so hochobjektive Medizin gegen Placebo testet, anstatt – viel weniger aufwendig – gegen Null-medikation. Die klare Antwort ist: das Placebo hat tatsächlich eine Wirkung, positiver oder negativer Art. In derzeitiger Mentalität, im derzeitigen System überwiegend negativer Art. Den Nocebo Effekt. In Doppelblindstudien für die evidenzbasierte Medizin muss daher die Placebooder Nocebo-Wirkung um möglichst objektiv zu sein von den Wirkungen des Verums (Nomen est Omen) abgezogen (subtrahiert) werden. Dann ist der Objektivität Genüge getan. Wenngleich nicht so sehr der Lebensrealität. Vielleicht resultiert der Konflikt zwischen evidenzbasierter Medizin und Lebenswirklichkeit aus der Differenz zwischen bestmöglicher mitunter vermeintlicher Objektivität einerseits und Subjektivität andererseits. Wobei die körperorientierten, objektiven Leistungen der evidenzbasierten und technisierten Medizin selbstverständlich außerhalb jedes Zweifels stehen. Ein jedes Ding (auch jeder Mensch) hat aber zwei Seiten.

Körperliche und mentale Wirkung

So hat auch jedes Medikament, jedes Mittel jede Maßnahme, ob natürlicher oder synthetischer Herkunft (mindestens) zweierlei Wirkung: 

  • die körperliche Wirkung mittels Veränderung von Körperzellen, Geweben, Organen 
  • die mentale Wirkung die aus der Erwartung Hoffnung/Sinngebung von Patientinnen und Patienten erwächst. 

Beide Wirkungsarten sind wichtig. Keine davon sollte überschätzt, aber auch keine unterschätzt werden. Medizin, gleich welcher Orientierung, die eine der beiden Seiten nicht kennt, wird fehlgehen. Selbstverständlich steht in der Medizin unserer Zeit die Wirkung deutlicher im Mittelpunkt als der Sinn der Maßnahmen. 


So ist es auch verständlich, dass von den Patientinnen/ Patienten nicht nur die neuen hochwirksamen Medikamente mitunter gefürchtet werden, sondern auch manche Prozeduren. Zahlreiche Mittel werden als potentielle Nocebos empfunden, aufgrund sorgfältigen Lesens der korrekt, manchmal erschreckend wirkenden Beipackzettel durchaus nachvollziehbar. Daraus resultiert Ambivalenz: einerseits werden die Mittel benötigt und ersehnt, manchmal werden sogar unnötige Mittel verlangt/empfohlen/genommen, andererseits werden dieselben Mittel und Prozeduren gefürchtet. Da hilft das Bewusstsein, was ist Wirkung und was Sinn, was ist notwendig und was ist schädlich, was wird benötigt und was ist überflüssig, zu viel, was ist Placebo und was ist Nocebo. Was hilft und was schadet.

Vorverständnis des Patienten

Ob eine Placebo-Wirkung oder eine NoceboWirkung entsteht, hängt weniger von dem jeweiligen Medikament bzw. der Maßnahme ab, als von der Einstellung des Patienten/der Patientin. Diese Einstellung wiederum wird von der Notwendigkeit und dem Sinn der Therapie geprägt sowie von den Erklärungen und den Informationen dazu. Letztere werden häufig aus Internetforen bezogen, (Ärztinnen/ Ärzte spielen da keine ganz große Rolle mehr) und sind unterschiedlich korrekt, mehr oder weniger objektiv, mehr oder weniger hilfreich. Warnungen mit unterschiedlicher Intention und Qualität, auch ganz unberechtigte, finden da jedenfalls mehr Aufmerksamkeit als die schlichte Wahrheit und ehrliches Bemühen.


Zweifellos werden da auch wirkungsarme, sogar wirkungslose und potentiell schädliche Mittel angepriesen, wodurch bei naiven Gemütern durchaus Placebo-Effekte, zumindest kurzfristig, aufkommen können. Die scheinbar besonders wirksam sind, wenn sie besonders viel kosten. Derartigen Placeboeffekt, der aus hohen Selbstkosten resultieren könnte, hat die hoch entwickelte Medizin in unserem Land, unserer Zeit jedenfalls nicht, da für jede/jeden Bedürftigen, alles Notwendige sozial, ohne eigene Zuzahlung, ohne Selbstleistung gewährt wird. Obgleich manch einer/manch eine meint, Alles sollte besser und mehr sein. Das ist aber ein Thema für die Sozialpolitik und nicht so sehr für die Medizin, in der und mit der die meisten da Arbeitenden wohl ihr Bestes tun: die nicht so sehr fordern und klagen, sondern leisten und wirken. 


Was hohl ist, wird keinen Bestand haben. Was viel fordert, und selbst wenig leistet; was viel verspricht und selbst wenig beiträgt, wird vergehen.

Selbstverantwortung und Placebo

Schließlich verweist uns die Placebo-Wirkung an uns selber zurück: wie bin ich? Wie geht es mir? Bin ich selber dafür verantwortlich? Was tue, was leiste ich dazu? Was mache ich verkehrt? Sehe ich Fehler ein? Und genauso wichtig: was mache ich richtig? Was ist richtig? Was kann ich für die Zukunft, in der Zukunft leisten? Wie kann das geschehen? Wie kann ich das leisten, erfüllen? Was brauche ich? Was ist mein Sinn? Eine jede, ein jeder wird diese Fragen – wenn überhaupt – anders beantworten. Dankbar für Gutes vielleicht, oder undankbar. Hilfreich, oder schädlich. Bewahrend, oder zerstörend. 


Placebo oder Nocebo? Teilweise liegt es an uns selber. Nicht allein an der Hardware, eher noch an der Software. An unserem Betriebssystem. Immerhin können/müssen wir an beidem arbeiten: konstruktiv oder destruktiv. Wir können die Hoffnung bewahren und die Zuversicht und im Kleinen unser Bestes tun – oder alles schlecht reden und schlecht machen. Wobei mir selbstverständlich bekannt ist, dass gut gemeint nicht das Gleiche wie gut gemacht ist. Dass reale Arbeit oft wichtiger ist als großes Tönen. Irgendwie geschätzt wird beides. 


Aber manches ist paradox. Der placebokontrollierte Doppelblindversuch (ist nomen da omen? Müssen wir wirklich doppel blind sein?) sollte, wie das Thema schon sagt, das placebohafte ultimativ kontrollieren, sollte die Medizin höchst objektiv entzaubern. Gewiss wurde manch Gutes damit erwirkt, manche Wirkung bestätigt und manche bestritten, für schädlich befunden. Gleichzeitig sehen immer mehr Menschen in den Mitteln und Prozeduren dieser Medizin auch Nocebo-Wirkung. 

Kann uns der Fortschritt retten? 

Es ist unübersehbar: unser hochverschuldetes System, auch unsere bisherige Effizienz ist im Niedergang. Wir sind nicht mehr nachhaltig. Immer mehr von uns werden hilflos und weniger hilfreich. Wir haben nicht mehr viel Grund zur Hoffnung und Zuversicht. Ob die Technik, die mit ihren hoch effektiven Geräten zur Ausbeutung und Zerstörung der Erde wesentlich beigetragen hat, uns retten wird, ist fragwürdig. Wie weit uns dabei die technisierte Medizin retten wird. Selbst der Tod stirbt, schreibt der Philosoph Michel Onfray in seinem Buch Niedergang: Aufstieg und Fall der abendländischen Kultur.

Unser Leben - lieber Placebo als Nocebo

Eine kleine Nische noch ist uns verblieben. Das ist die Natur. Klar, auch die kann bedrohlich wirken und schaden, und doch ist sie unser Leben. Wer das als Placebo-Effekt verächtlich macht, dem ist nicht zu helfen. Zumal mehr und mehr Nocebo wird. 


Doch da ist noch die kleine Nische. Die Natur kämpft nicht gegen den technischen Fortschritt, gegen die Zerstörung, die er ermöglicht und anrichtet, stattdessen erträgt und überwindet sie ihn. Lächelt gütig zurück, wenn sie als unwirksam und als Placebo verhöhnt wird. Zumal manch einer, der von Placebo spricht gar nicht so gut weiß, was das eigentlich ist und kann. 


Letztlich ist all unser Leben Placebo, zumindest sollte es möglichst wenig Nocebo sein. Letzteres hingegen sehen wir derzeit global mit größtem Bedauern und tiefster Trauer. 


Tröstlich bleiben bewährte Naturstoffe für unsere Gesundheit. Solide, bewährte, gesundheitsfördernde Wirkung verbindet sich da mit Hoffnung, Zuversicht und Beständigkeit.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 52 (Sept./Okt. 2023)

Die Wirksamkeit von Placebo

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Dr. med. Klaus Mohr

Dr. med. Klaus Mohr

In Fachkreisen und bei seinen Lesern hoch geschätzter Mediziner und Autor, der es versteht Natur- und Schulmedizin zum Nutzen seiner Patienten einzusetzen.