Nährstoffe in der Food-MATRIX

01.01.23 12:00 AM Von Mag. Julia Tulipan

Lebensmittel sind nicht einfach nur ein Transportmittel für Nährstoffe. Sie bestehen aus einer Matrix, in der Nährstoffe und Nicht-Nährstoff-Verbindungen vorhanden sind, die physiologische Wirkungen hervorrufen, die sich von denen isolierter Nährstoffe unterscheiden. Ernährungsempfehlungen basieren häufig auf den Wirkungen einzelner Nährstoffe, die als ungesund gelten.

Lebensmittelmatrix ist ein Begriff, der häufig verwendet wird, um auf das gesamte Lebensmittel von den einzelnen Bestandteilen, insbesondere von den darin enthaltenen Nährstoffe, zu unterscheiden. In einer Diskussion, in der immer mehr einzelne Nährstoffen und Nährstoffgruppen herausgepickt und in Isolation betrachtet werden, geht das Lebensmittel in seiner Gesamtheit verloren. So bestehen Äpfel Nährstoffe in der Food-MATRIX aus mehr als nur Fruchtzucker und Rindfleisch aus mehr als nur gesättigtem Fett. In diesem Artikel möchte ich gerne das ganze Lebensmittel ins Zentrum rücken.

Auf den Kontext kommt es an

Unsere Lebensmittel bestehen nicht aus einzelnen, isolierten Fettsäuren, Aminosäuren oder Zuckern, sondern sind komplexe Kombinationsprodukte. Lebensmittel bestehen aber aus noch mehr als nur den Makronährstoffen. In Pflanzen finden wir diverse lösliche und unlösliche Ballaststoffe, chemische Verbindungen wie Alkaloide, sekundäre Pflanzenstoffe, Vitamine und Mineralstoffe. Pflanzen können aber auch andere Substanzen enthalten, die nachteilig oder sogar gefährlich für uns sein können.

Auch tierische Lebensmittel sind mehr als die Summe ihrer Teile. Aminosäuren liegen in idealer Komposition vor. Ebenso liefern tierische Produkte Vitamine und Mineralstoffe, Omega-3-Fettsäuren, Carnitin und Vitamin B12, in Menge, Form und Verfügbarkeit, wie wir es in keinem pflanzlichen Lebensmittel finden. 


Ein Blick auf den Teller macht noch eine weitere Sache deutlich. Üblicherweise werden Lebensmittel verschiedener Kategorien in Kombination gegessen. Grüne Bohnen zum Fisch, Apfel und Käse, Joghurt zum Müsli. Die Kombination von Lebensmitteln verändert die Wirkung auf den Körper. Lässt der Zucker im Apfel den Blutzucker möglicherweise rascher ansteigen, wirkt das Eiweiß und das Fett im Käse wie eine Bremse. Der Blutzucker steigt nicht nur weniger schnell, sondern auch weniger hoch an.

Verarbeitung – fermentieren, kochen, mahlen, sprossen

Natürlich, unverarbeitet, roh - das sind Attribute, die in der Kommunikation von Lebensmittelherstellern und der Werbung gerne genutzt werden, um bestimmte Produkte als besonders gesund oder vollwertig darzustellen. Auch wenn Verarbeitung durchaus seine Schattenseiten hat, darf das Prozessieren von Lebensmitteln keinesfalls kategorisch verteufelt werden.


Eine der ältesten Methoden der Verarbeitung ist das Kochen. Die Nutzung und das Beherrschen des Feuers war ein Meilenstein in der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Die frühesten Hinweise auf den kontrollierten Einsatz von Feuer liegen 1,6 Millionen Jahre zurück.1 Die ältesten Funde, die mit Sicherheit auf Nutzung des Feuers zum Kochen hinweisen, sind 780.000 Jahre alt.2 Die thermische Behandlung von Pflanzen und Fleisch verbessert die Verdaulichkeit und schützt vor möglichen Parasiten und anderen Pathogenen in der Nahrung.


Unsere Vorfahren hatten noch andere Techniken, um Lebensmittel zu konservieren und um die Verdaulichkeit zu verbessern. Viele dieser Techniken haben noch heute eine wichtige Bedeutung in traditionellen Küchen. Zu diesen Techniken gehört die Fermentation, wie das mit Käse, Fisch, Wein oder Soja gemacht wird. Manche 


Lebensmittel sind giftig und unverträglich, werden sie nicht entsprechend verarbeitet. Hierzu gehören zum Beispiel die Hülsenfrüchte. Hülsenfrüchte sind besonders reich an Lektinen. Lektine sind spezielle Proteine, die den Pflanzen als Abwehrstoffe gegen Fraßfeinde dienen. Nicht alle Lektine sind gleich tödlich, aber sie können schwere Durchfälle, Magenkrämpfe verursachen, zum Verkleben der roten Blutkörperchen führen und die Darmschleimhaut schädigen. Besonders giftig sind die Lektine in der roten Kidneybohne, roh verzehrt können bereits 5–6 Bohnen für Kinder tödlich sein. Aber es finden sich nicht nur Lektine. Die Limabohne enthält hohe Mengen an Blausäure, welche die innere Atmung des Körpers blockiert. Hülsenfrüchte, aber auch Getreidekörner, sind mit sogenannten Protease-Inhibitoren ausgestattet. Diese hemmen die Aktivität von Protein spaltenden Enzymen im Verdauungstrakt, was zu Durchfall und Erbrechen und zu einem Mangel an essenziellen Aminosäuren führen kann.

Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass sich gerade rund um die Zubereitung von Hülsenfrüchten eine spezielle Tradition entwickelt hat. Lektine und viele der Problemstoffe sind nicht hitzestabil und werden größtenteils durch Kochen zerstört. Bohnen werden auch über mehrere Tage hinweg eingeweicht, gesprosst oder fermentiert. Alles Maßnahmen, um die Verträglichkeit und den Nährwert zu verbessern.

Hochverarbeitete Lebensmittel – die Kehrseite der Medaille

Die Definition von „hochverarbeiteten Lebensmitteln“ ist schwierig. Fast alle Lebensmittel in Lebensmittelgeschäften werden in irgendeiner Weise verarbeitet: Sie werden pasteurisiert, vakuumversiegelt, gekocht, gefroren, angereichert und mit Konservierungsstoffen und Geschmacksverstärkern versetzt. Einige dieser Verfahren können den Nährwert der Lebensmittel verändern. Einige Studien haben einen Zusammenhang zwischen hochverarbeiteten Lebensmitteln und einem erhöhten Risiko für Fettleibigkeit, Krebs und sogar einem früheren Tod festgestellt, doch ein kausaler Zusammenhang ist schwer nachweisbar. 


Hochverarbeitete Lebensmittel enthalten meist mehr Zucker, Salz und Fett und weniger Protein als natürliche Lebensmittel. Einige Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen dazu neigen, so lange zu essen, bis sie ein bestimmtes Proteinziel erreicht haben. Außerdem sind hochverarbeitete Lebensmittel oft besonders weich, knusprig oder sonst wie sensorisch besonders ansprechend. 


Dr. Kevin Hall, Physiologe am National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases in Bethesda, Maryland, wollte wissen, welche Auswirkung hochverarbeitete Lebensmittel auf das Essverhalten und die Sättigungshormone von gesunden Probanden hat.3


Sie rekrutierten 20 gesunde Teilnehmer. Die Teilnehmer verbrachten 28 Tage am Stück in einer Einrichtung des National Institute of Health – ohne Ausflüge. Jeder von ihnen wurde 2 Wochen lang auf eine „hochverarbeitete“ oder eine „minimal verarbeitete“ Ernährung beschränkt und wechselte dann für weitere zwei Wochen zu der jeweils anderen Ernährung. 


Zu den Mahlzeiten in der Gruppe mit dem hochverarbeiteten Essen gehörten abgepackte Frühstücksflocken, gesüßter Joghurt, Dosenravioli und Hot Dogs. Die unverarbeiteten Mahlzeiten umfassten Haferflocken, gedünstetes Gemüse, Salate und gegrilltes Hähnchen. Die Diätassistenten glichen die verarbeitete und die unverarbeitete Ernährung hinsichtlich Kalorien, Zucker, Natrium, Fett und Ballaststoffen sorgfältig ab. 


Die einzige Freiheit, die die Teilnehmer hatten, war, dass sie entscheiden konnten, wie viel sie essen wollten. Nachdem sie sich satt gegessen hatten, berechnete Halls Team ihre Aufnahme, indem die Reste akribisch abgewogen wurden. Die Forscher fanden heraus, dass die Teilnehmer in der zweiten Woche jeder Diät im Durchschnitt etwa 500 Kalorien mehr pro Tag zu sich nahmen, wenn die Nahrung hochverarbeitet war. Dieser zusätzliche Verzehr führte zu einer Gewichtszunahme von etwa einem Kilogramm während der zwei Wochen mit der ultraverarbeiteten Diät gegenüber einem Verlust von etwa einem Kilogramm mit der unverarbeiteten Diät. Blutuntersuchungen ergaben außerdem, dass die Menschen mit der unverarbeiteten Ernährung höhere Werte des appetitzügelnden Hormons PYY und niedrigere Werte des appetitanregenden Hormons Ghrelin aufwiesen, obwohl nicht klar ist, wie diese Veränderungen mit der Verarbeitung der Lebensmittel zusammenhängen.


Die Forscher schlussfolgern, dass der Effekt von hochverarbeiteten Lebensmitteln nicht primär mit dem Gehalt an Zucker und Fett zusammenhängt, sondern es darüber hinaus Wirkmechanismen gibt, die eine normale Kontrolle von Hunger und Sättigung untergraben.

Fazit: echte Lebensmittel und möglichst in Kombination

Gerade im Sommer kann ein Salatteller oder rohes Gemüse ein erfrischender Genuss sein, doch rohes Gemüse ist schwerer verdaulich und die Nährstoffe können weniger leicht aufgenommen werden. Somit ist es eher empfehlenswert, Gemüse schonend zu garen. Al dente reicht, zerkochen ist nicht sinnvoll, da dann auch wieder viele Vitamine zerstört werden können. 


Essen Sie Lebensmittelkombinationen und nicht Lebensmittel in Isolation. Ballaststoffreiches, stärkearmes Gemüse darf die Hälfte des Tellers bedecken. Dazu hochwertige Fette und Öle, etwa Weidebutter, Oliven- oder Kokosöl. Diese Fette sind auch noch sehr hitzestabil und können ohne Sorge zum Kochen verwendet werden. Zu guter Letzt darf auch das Eiweiß nicht fehlen. Ob Fisch, ob Ei, Käse oder Fleisch – tierische Eiweißquellen können mit pflanzlichen Quellen gemischt werden. Da Eiweiß aus tierischen Lebensmitteln eine höhere Bioverfügbarkeit aufweist, muss man hier von auch nicht Unmengen essen4,5. So kombiniert bleibt der Blutzucker stabil und Vitamine, Mineralstoffe und Nährstoffe können gut aufgenommen werden. Sie bleiben länger satt und Heißhungerattacken bleiben aus.

Quellen

  1. Hlubik, Sarah, et al. "Researching the nature of fire at 1.5 Mya on the site of FxJj20 AB, Koobi Fora, Kenya, using high-resolution spatial analysis and FTIR spectrometry." Current Anthropology 58.S16 (2017): S243-S257.
  2. Goren-Inbar, Naama, et al. "Evidence of hominin control of fire at Gesher Benot Yaaqov, Israel." Science 304.5671
  3. Hall, Kevin D., et al. "Ultra-processed diets cause excess calorie intake and weight gain: an inpatient randomized controlled trial of ad libitum food intake." Cell metabolism 30.1 (2019): 67-77.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 48 (Jan./Feb. 2023)

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Mag. Julia Tulipan

Mag. Julia Tulipan

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Frau Tulipan ist Biologin und Master of Science in klinischer Ernährungsmedizin. Die Liebe zur Naturwissenschaft begleitet sie schon ihr ganzes Leben und bildet die Grundlage ihrer Beratungsphilosophie.