Sicher sein - Was ist heute noch sicher?

01.07.24 12:00 AM Von Dr. med. Klaus Mohr

Die Rente vielleicht? Vor 38 Jahren hatte der einstmalige, wohlwollende Sozialminister Norbert Blüm plakatiert „Eines ist sicher: die Rente“. Der Satz wurde legendär. Das Versprechen besteht weiterhin. Der Generationenvertrag aus Adenauers Zeiten wird treu erfüllt. Die Idee ist gut: Die jeweils erwerbstätige Generation erbringt mit ihren Beiträgen die Renten für die vorhergehenden. Wie üblich gibt es derzeit auch daran Kritik. Sozialverbände beklagen Altersarmut und fordern Rentenerhöhungen, verständlicherweise. Ohnehin ist das System in sich nicht nachhaltig. Die Relation zwischen Erwerbstätigen und Rentenempfängern schrumpft. Derzeit schon werden über die Beiträge der Erwerbstätigen an die Rentenkassen hinaus um die einhundertzehn Milliarden Euro an Steuergeld pro Jahr eingebracht.

Norbert Blüm: "Eines ist sicher"

Unser System ist nicht nachhaltig. Politiker betonen, zumindest nach außen hin, die Rentenversicherung sei solide finanziert. Norbert Blüm war ein einfacher, ehrlicher und kluger Politiker. Sein Statement „Eines ist sicher“ wies damals schon darauf hin, dass keineswegs alles sicher ist. Allerdings werden Probleme und Konflikte in unserem Land relativiert durch die Gefahren, die von Staaten mit aggressiver Außenpolitik, flankiert von Raketenarsenalen. Das muss jetzt nicht in Panik versetzen. Panik ist niemals ein guter Ratgeber. Die potentielle Gefahr sollte jedoch bei den oft egozentrischen internen Auseinandersetzungen nicht außer Acht bleiben. Bewusstsein ist die Voraussetzung für Problemlösung.

Inzwischen scheint überhaupt nichts mehr sicher.

Wem kann man noch vertrauen?

Ehrlichkeit, Vernunft und Wahrheit schwinden. Demokratien werden von innen her ausgenutzt und zerstört. Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten werden mit Empörung und Wut ausgetragen. Weltweit prosperieren Autokratien und Diktaturen. Hass, Gewalt und Zerstörung breiten sich aus. Ein europäisches Land wurde brutal überfallen und wird weiter mit mörderischem Krieg überzogen. Der aber im Land des Aggressors nicht als Krieg bezeichnet werden darf, stattdessen Spezialoperation genannt werden muss. So wird Lüge und Verbrechen als neue Wahrheit verkauft. Kellyanne Conway, ehemalige Beraterin des Expräsidenten Trump, verwandelte die unwahren Behauptungen ihres Auftraggebers in alternative Fakten. Wem kann man künftig noch glauben, wem noch vertrauen? Vertraut denen, die an sich selbst zweifeln, hat Erich Fried sinngemäß mal geschrieben. Bei Autokraten scheinen Selbstzweifel nicht gerade ausgeprägt. Vielmehr die Selbstgerechtigkeit. Immer geht es um Macht, die als Fürsorge zum Besten des Volkes verkauft wird. Mittels alternativer Fakten. Die Macht ist da mit dem Abschöpfen von Geld eng verknüpft. Erhält sich mit Geld, das in Überwachung und Rüstung fließt – und Korruption. Bedrohlich.

Flucht in alternative Fakten

Gewiss, Politik mit dem Geld gibt es in unserer Demokratie, unserer Gesellschaft auch. Zumal von Interessengruppen und Verbänden stets mehr Geld gefordert wird. Und ein wenig sind die Kämpfe um Lohnsteigerungen auch Machtkämpfe, besonders wirksam betrieben von systemrelevanten Berufsgruppen. Selbstverständlich muss Armut behoben werden. Häufig wird von Armutsbekämpfung gesprochen. Gleichzeitig wird das Verkürzen der Arbeitszeit verlangt. Immerhin ist die Rente sicher. Zumindest so lange sicher, wie Erwerbstätige arbeiten (in 2030 werden das vermutlich zwei sein für einen Rentner/eine Rentnerin) und solange das Steueraufkommen hoch genug ist. Unter den Belastungen durch die Klimaveränderung, die sich auch wirtschaftlich ungünstig auswirken wird, sind die erforderlichen Steigerungen sehr unwahrscheinlich. Ohnehin wird die Volkswirtschaft schon vom Wachstum bisheriger Belastungsfaktoren geschwächt, von wuchernder Bürokratie mit nicht immer sinnvollen Auflagen (gegen die unsere Politik anscheinend nichts tun kann – oder nichts tun will), von hohen Energiekosten, von Lohnsteigerungen bei Arbeitszeitkürzungen. Von daher wird kaum etwas sicherer. Wir müssen uns ehrlich machen und die Tatsachen sehen, nicht auf alternative Fakten abfahren. Immerhin verkündet der Bundeskanzler die Zeitenwende und weist auf seine Besonnenheit hin. Das ermutigt.

Frieden und Respekt

Ebenso ehrenwert ist es, RESPEKT zu plakatieren, zu fordern, und FRIEDEN. Wer wollte den nicht. Klar, da gibt es einiges noch zu tun. Zumal Respekt ebenso wie der Frieden in letzter Zeit auch in unserer Gesellschaft doch eher im Rückzug war. Umso mehr preisen wir den Fortschritt, auch den sozialen, mit dem aber die Verantwortung für das Ganze wie auch die Selbstverantwortung mehr und mehr verloren ging.


Geradezu aberwitzig preist eine aufstrebende Parteipolitikerin die Friedlichkeit eines Herrn W. Putin, dessen Verhandlungsbereitschaft, die immerhin zum Überfall auf die Ukraine führte. Und wohl mit voller Wucht einsetzen würde, wenn alle Kinder, Frauen und Männer da getötet, ersatzweise verschleppt, das Land in Schutt und Asche gelegt und vermint wäre, und dieser Herrscher sich dann ebenso freundlich den anderen europäischen Staaten zuwenden könnte.

Manchmal verheißt ein netter Traum uns, morgen früh sanft aufzuwachen und zu befinden, dass alles wieder so ist, wie es war. So wie wir es uns vorgestellt hatten. Noch besser sogar. Wenn das überhaupt geht. Dass wir so weitermachen können wie bisher. Aber all das ist eine Illusion. Wir müssen uns ehrlich machen. Den Tatsachen ins Auge sehen. Arbeiten für die Gegenwart und die Zukunft. Von Politikern, aus dem linken Spektrum vor allem, wird unsere Gesellschaft als wohlhabend und reich angesehen. Warum sollte man noch arbeiten. Oder gar arbeiten müssen. Klar, da sind Millionen auf Konten, und Milliarden im Umlauf. Unfassbare Zahlen. Die könnten doch ausgezahlt werden. Trotz dieses Reichtums gelten ungefähr 16 Prozent unserer Bevölkerung, also fast dreizehn Millionen Menschen in Deutschland, als arm. Sozialverbände gehen sogar von noch höheren Zahlen aus, die darüber hinaus in Zukunft noch steigen könnten. Trotz allen Fortschritts, trotz aller Versprechungen. Oder vielleicht deshalb. Jedenfalls muss bis 2030 der Bundeszuschuss an die Rentenkasse (siehe oben) auf ungefähr 180 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Hinzu kommen 62 Milliarden Euro von Bund, Ländern und Gemeinden für die Beamtenpensionen. Zinszahlungen für Staatsschulden kommen dazu. Ausgaben für die Landes- und Bündnisverteidigung. Für die Bahn, für die Infrastruktur, für Demokratieförderung. Für FRIEDEN. Für RESPEKT. Wie wird all das zu stemmen sein?

Zurück zur Wahrhaftigkeit

Wir müssen wieder ehrlich, klar und wahrhaftig sein. Sehen, was wahr ist und was falsch. Wahrheit und Wirklichkeit, Realität von alternativen Fakten und Verdrehen unterscheiden. De facto kämpft die Menschheit gegen sich selbst und die Erde. Das ist so in Autokratien und Diktaturen (die florieren, und das ist fatal), das ist so bei Überfällen und Kriegen, das ist so bei aller Gewalt. Und nicht ganz wenig ist es auch in unserer Gesellschaft so, obgleich wir das nicht gerne so sehen wollen. Lieber halten wir uns für respektvoll, für friedlich und besonnen. Woke. Doch sind wir das wirklich? Herr Putin, kein Wunder, sieht es gerade umgekehrt. Noch müssen wir uns seinen alternativen Fakten nicht anschließen, seiner militärischen Spezialoperation. Besser dagegenhalten. Nicht ihn preisen und nicht ihn beschwichtigen.

Mit- und Selbstverantwortung

Wahrhaftig sein. Gewiss ist es einfacher, die Ursachen eigener Probleme und die Schuld überwiegend bei anderen zu suchen. Das entlastet (scheinbar) von eigener Mit- und Selbstverantwortung. Bringt aber nicht weiter. Ähnlich ist es mit dem Fordern und dem Verlangen. Es wird sehr viel gefordert, aber selten nachgedacht, wie das Verlangte zu ermöglichen sei. Sollen Andere doch sehen, wie die das stemmen. Das Beschuldigen Anderer, das Verbreiten von Fakenews bis hin zu Verschwörungstheorien ist das Erfolgsgeheimnis von Populisten. Notwendig ist, dagegen auf der Wahrheit zu bestehen.

Notwendige Dialogbereitschaft

Doch was ist wahr? Selbst Philosophen fällt es schwer, das zu klären und zu erklären. Natürlich hat Wahrheit immer auch etwas Subjektives: Was nehmen wir wie wahr? Oftmals spielen da Vorurteile mit, und Erwartungen. Hätte demnach jeder/jede eine eigene Wahrheit? Dann wäre Verständigung kaum möglich.


Wozu der Philosoph Hans-Georg Gadamer bemerkt hat, Voraussetzung eines Gesprächs sei die Annahme, dass der andere Recht haben könnte. In unserer Gesellschaft werden Gespräche allerdings oft mit der Prämisse geführt, der andere habe selbstverständlich Unrecht. Dann wird Konsens nicht entstehen können.

Tatsächlich scheint Dissens und Polarisierung derzeit im Auftrieb. Was dem Ganzen, dem Zusammenwirken wie auch der Zukunftsfähigkeit gewiss nicht förderlich ist. Ein Symptom von vielen ist das Verhalten auf den Straßen. Dass der Kraftverkehr mittels Verbrennungsmotoren signifikant an der Klimaveränderung beteiligt ist, steht außer Zweifel. Wobei ein Großteil sämtlicher Fahrten wahrscheinlich unnötig, überflüssig und sinnlos ist. Selbstverständlich kann man über die Bewertung streiten, der Fahrt etwa zum Supermarkt, zum weit entfernten Schnäppchenmarkt oder häufige Bestellungen im Internet, für die der Lieferwagen rollen muss. Da wir in einem liberalen System leben, sind diese Fragen zugegebenermaßen unzulässig. Ebenso wie die Fragen nach der Notwendigkeit dröhnender Motorradfahrten einfach so zum Vergnügen. Trotzdem müssen mit den Auswirkungen auf das Klima letztendlich alle zurechtkommen.

Konsens und Vernunft

Zur Wahrheit übrigens hat Karl Otto Apel (1922-2017), der als Professor an der Universität Frankfurt Philosophie lehrte, und gemeinsam mit Jürgen Habermas die Kommunikationstheorie entwickelte, festgestellt, sie komme im Konsens aller Beteiligten zustande, wofür deren Vernunft vorauszusetzen sei. Hört sich vielleicht etwas kompliziert an. Kernthese ist der Konsens aller Vernünftigen. Ohne allzu sehr zeitkritisch sein zu wollen, kommen wir aber an dem Empfinden nicht ganz vorbei, dass in unserer Gesellschaft Vernunft und Konsens nicht mehr besonders ausgeprägt ist. Kommen auch an der Sorge nicht ganz vorbei, dass eine Gesellschaft ohne Vernunft und Konsens nicht wahrheitsfähig und nicht zukunftsfähig ist.

Wie können wir zukunftsfähig werden?

Doch fragen wir uns besser umgekehrt: Wie könnten wir zukunftsfähig werden und sein? Als Faktoren wurden Wahrheit, Vernunft und Konsens schon genannt. Ehrlichkeit. Etliche Mitbürger/Mitbürgerinnen werden all das vielleicht für unnütz halten. Und meinen, Ehrlichkeit sei eine Zier, doch weiter komme man ohne ihr. Der vortreffliche Wilhelm Busch (den ich auch als Philosophen verehre) hat das mal über die Höflichkeit gesagt. Aber was soll all die Philosophie, im Grund geht es doch immer wieder um Macht und um Geld. Die Zukunft, die Klimakatastrophen, die Infrastruktur, die insuffiziente Bahn, der Mangel an Erzieherinnen/Erziehern und Kitaplätzen, die medizinische Versorgung, die Rente, die Pflege, die Motivation von Fachkräften, für all das und noch viel mehr, muss – wie gern gesagt wird – endlich mal genug Geld in die Hand genommen werden. Gewiss muss einiges bezahlt und gut entlohnt werden. Gewiss gibt es Armut – Mangel an Geld – in unserer Gesellschaft. Gibt es Kreditaufnahmen und Schulden, die irgendwann und irgendwie in ferner Zukunft (die auch dadurch schwieriger werden könnten) zu tilgen werden. Ehrlich und wahrhaftig dürfen wir die nicht außer Acht lassen. Und auch pragmatisch. Eminente Belastungen durch Klimakatastrophen, die heute verursacht werden (der irrsinnige Straßenverkehr ist nur ein Faktor) werden dazu kommen.

Wahrheit und Mentalität

Was und wer wird dann noch sicher sein? Niemals in der Menschheitsgeschichte, definitiv, ist so viel Aufwand (und Bürokratie) für die Sicherheit, so viel Medizin, betrieben worden, wie heute. Für die individuelle Sicherheit, genauer gesagt. Für die Sicherheit der Verbraucher. Das ist löblich. Ehrlicherweise müssen wir aber auch feststellen: wir verbrauchen sehr viel. Wir fahren, fliegen, bestellen, konsumieren sehr viel. Wir wollen sehr viel. Wir verlangen sehr viel. Wir fordern sehr viel. Und offen gesagt: sehr viel ist zu viel. Für die Erde, und damit auch für uns selbst. Mehr Geld, mehr Kontrolle, mehr Überwachung, um sicher zu sein. Punktuell mag das funktionieren. Von all dem gibt es schon viel. Genug wird es nie sein. Völlig sicher werden wir auch niemals sein. Etliche Sicherungsmaßnahmen in unserer Zeit belasten, ebenso wie der Irrsinn, die Zukunft. Geld allein, oder wenig? Geld allein, auch noch mehr Geld, wird uns nicht retten. Schon gar nicht, wenn es verkehrt eingesetzt wird. Rüstung allein wird uns nicht retten. Aber das ist irrelevant, wir sind gar nicht gerüstet. Vielleicht könnte die Mentalität uns retten. Der Geist. Zu dem manch einer/eine sagt: was ist das denn? Die Wahrheit. Das Vertrauen in das Richtige. Selbstlosigkeit. Bewahrung. Gesundheit.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 57 (Juli/Aug. 2024)

Raus aus der Hungerfalle

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Dr. med. Klaus Mohr

Dr. med. Klaus Mohr

In Fachkreisen und bei seinen Lesern hoch geschätzter Mediziner und Autor, der es versteht Natur- und Schulmedizin zum Nutzen seiner Patienten einzusetzen.