Bluthochdruck und Insulinresistenz -  Wie sie zusammenhängen und Sie die Kontrolle zurückgewinnen

01.11.24 12:00 AM Von Mag. Julia Tulipan

Diabetes und Bluthochdruck, zwei der weltweit am häufigsten auftretenden chronischen Erkrankungen, treten oft gemeinsam auf und führen zu einem komplexen Zusammenspiel, das erhebliche Gesundheitsrisiken mit sich bringt. Bluthochdruck ist, zusammen mit Insulinresistenz, eines der Kennzeichen des metabolischen Syndroms. Durch ein besseres Verständnis der gemeinsamen physiologischen Mechanismen, die diese beiden Krankheiten verbinden, können wir wertvolle Erkenntnisse für effektive Präventions- und Behandlungsstrategien gewinnen.

Wie Insulinresistenz und Bluthochdruck zusammenhängen: Das Zusammenspiel der Hormonsysteme

Insulinresistenz tritt auf, wenn die Zellen des Körpers weniger empfindlich auf Insulin reagieren, was zu erhöhten Blutzuckerwerten führt. Dies ist ein zentrales Merkmal des Typ-2-Diabetes. Bei Typ-2-Diabetes entwickelt sich oft der Bluthochdruck vor der initialen Diagnose oder in engem zeitlichem Zusammenhang. Typ 2 Diabetes tritt meist nicht als alleinstehende Erkrankung auf, sondern in Verbindung mit verschiedenen Erkrankungen und Risikofaktoren, die durch den Begriff „Insulin-Resistenz-Syndrom (IR-Syndrom)“ oder „metabolisches Syndrom“ umschrieben werden. Der Zusammenhang zwischen Insulinresistenz, Übergewicht und Bluthochdruck lässt sich durch verschiedene Mechanismen erklären:

Die Rolle des Fettgewebes

Übergewicht, insbesondere das Fettgewebe im Bauchraum, spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Insulinresistenz und Bluthochdruck. Dieses Fettgewebe ist nicht nur ein Energiespeicher, sondern auch ein endokrines Organ, das verschiedene Stoffe wie entzündungsfördernde Zytokine und andere pro-inflammatorische Mediatoren freisetzt. Einige dieser Stoffe, wie Adiponektin und Stickstoffmonoxid (NO), verbessern die Insulinempfindlichkeit und die Durchblutung. Andere, wie Angiotensin II, TNF-alpha und Leptin, verschlechtern hingegen die Insulinwirkung und erhöhen den Blutdruck.

Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS)

Ein Schlüsselmechanismus für die Verbindung von Insulinresistenz und Bluthochdruck ist die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS). Angiotensin II, ein Produkt dieses Systems, verengt die Blutgefäße und erhöht dadurch direkt den Blutdruck. Zudem fördert es die Freisetzung von Aldosteron, das die Natriumrückhaltung (= verstärkte Wiederaufnahme von Salz) in den Nieren verstärkt. Dieser Prozess beeinflusst das Gleichgewicht der Körperflüssigkeiten und führt zu einem erhöhten Blutvolumen, was den Blutdruck steigern kann. Angiotensin II trägt auch direkt zur Entstehung von Insulinresistenz bei, indem es die Insulinwirkung in den Zellen beeinträchtigt.

Oxidativer Stress und seine Rolle

Ein weiterer entscheidender Faktor ist der oxidative Stress, der durch die Stoffwechsellage bei Diabetes verstärkt wird. Oxidativer Stress erhöht die Bildung von Sauerstoffradikalen, die wiederum das Angiotensin-System aktivieren. Dieser Teufelskreis führt zu einer Verstärkung von Bluthochdruck, Gefäßschädigungen und Diabetes.

Leptin und das sympathische Nervensystem

Leptin, ein Hormon, das im Fettgewebe gebildet wird, spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Appetits und der Energiebilanz. Bei übergewichtigen Personen sind die Leptinspiegel im Blut erhöht, was zur Aktivierung des sympathischen Nervensystems führt. Diese Aktivierung hat mehrere Auswirkungen: Sie erhöht den Blutdruck direkt durch Gefäßverengung, fördert die Aktivierung des RAAS und beeinträchtigt die Insulinwirkung, indem sie die Insulinvermittlung in den Zellen stört und die Fettverarbeitung im Gewebe beeinflusst.

Die Glykokalyx – Schutzschicht unserer Gefäße

YSicherlich ist Ihnen bekannt, dass unser Dünndarm von mikroskopisch kleinen Zotten und Härchen bedeckt ist, aber wussten Sie, dass auch alle Gefäßwände von winzigen Härchen bedeckt sind?


Die Glykokalyx ist eine Schicht aus Kohlenhydraten und Eiweißen (Glykoproteinen), die die Oberfläche der Endothelzellen der Blutgefäße bedeckt. Sie spielt eine wichtige Rolle beim Schutz und bei der Regulation des Blutgefäßsystems.
Glykokalyx
Abbildung aus: Chappell, D., et al., Glycocalyx protection reduces leukocyte adhesion after ischemia/reperfusion. Shock, 2010. 34(2): p. 133-9.

Insulinresistenz (IR) kann direkte und indirekte Auswirkungen auf die Glykokalyx haben1, wodurch sie in ihrer Funktion eingeschränkt ist und dann unter anderem auch einen Einfluss auf die Blutdruckregulation hat.

  1. Veränderungen der Durchlässigkeit: Insulinresistenz kann die Integrität der Glykokalyx beeinträchtigen, was zu einer erhöhten Permeabilität der Blutgefäßwand führen kann. Dies bedeutet, dass Stoffe wie Proteine und Lipoproteine leichter aus den Blutgefäßen in das umgebende Gewebe gelangen können.
  2. Entzündliche Prozesse: Insulinresistenz geht oft mit einem entzündlichen Zustand einher. Diese chronische Entzündung kann die Glykokalyx beeinflussen und zu einer gestörten Funktion führen, indem sie ihre Schutzfunktion gegenüber entzündlichen Stimuli verringert.
  3. Vaskuläre Funktion: Die Glykokalyx spielt eine Rolle bei der Regulierung der vaskulären Funktion, einschließlich der Vasodilatation und Vasokonstriktion. Insulinresistenz kann diese Funktionen beeinträchtigen und somit die Regulation des Blutflusses und des Blutdrucks beeinflussen.
  4. Thrombozytenadhäsion: Eine intakte Glykokalyx hemmt die Adhäsion und Aktivierung von Blutzellen wie Thrombozyten. Bei einer gestörten Glykokalyx durch Insulinresistenz kann die Anfälligkeit für Thrombosen erhöht sein.
Insgesamt kann Insulinresistenz die Glykokalyx auf verschiedene Weisen negativ beeinflussen, was zu einer Beeinträchtigung der Gefäßgesundheit und einer erhöhten Anfälligkeit für vaskuläre Komplikationen führen kann2.

Nicht nur Insulinresistenz, sondern auch hoher Blutzucker bedeutet Stress für die empfindliche Glykokalyx. Hohe Blutzuckerspiegel können die Glykokalyx auf verschiedene Weisen beeinträchtigen:
  1. Erhöhte Verzuckerung (Glykosylierung): Hohe Glukosekonzentrationen im Blut können zu einer verstärkten Glykosylierung von Proteinen führen, einschließlich der Proteine, die Teil der Glykokalyx sind. Dies kann zu strukturellen Veränderungen und Funktionsstörungen der Glykokalyx führen.
  2. Oxidativer Stress: Hohe Blutzuckerspiegel können oxidative Stressreaktionen in den Blutgefäßen auslösen. Dieser oxidative Stress kann die Glykokalyx direkt schädigen und ihre Funktion beeinträchtigen.
  3. Entzündliche Reaktionen: Chronisch hohe Blutzuckerspiegel können zu einem entzündlichen Zustand führen, der die Glykokalyx beeinträchtigen kann. Entzündliche Mediatoren können die Glykokalyx destabilisieren und ihre Schutzfunktionen verringern.

Diese Schäden an der Glykokalyx können langfristig zu einer gestörten Funktion der Blutgefäße führen, was das Risiko für vaskuläre Erkrankungen wie Atherosklerose, Mikroangiopathie und diabetische Komplikationen erhöht.

Stickstoffmonoxid – ein unscheinbares Gas mit großer Wirkung

Stickstoffmonoxid (NO) wurde lange Zeit von der Medizin wenig beachtet, dachte man doch, dass es sich um ein bedeutungsloses Nebenprodukt handelte. Erst Ende der 1970er Jahre wurde der Pharmakologe Ferid Murad erstmals auf die physiologischen Wirkungen des Stickstoffmonoxid (NO) aufmerksam. Er entdeckte, dass NO die Erweiterung der Blutgefäße bewirkt und somit eine zentrale Rolle in der Regulation des Blutdrucks spielt.

1998 erhielten Ferid Murad, Robert Furchgott und Louis J. Ignarro den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

Die Glykokalyx spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulation des Blutdrucks, insbesondere durch ihre Interaktion mit der Stickstoffmonoxid (NO)-Produktion.

NO-Produktion und Blutdruckregulation: Stickstoffmonoxid (NO) wird von den Endothelzellen in den Blutgefäßen produziert. Es hat mehrere Schlüsselfunktionen:

  • NO entspannt die glatte Muskulatur der Blutgefäße, was zu Vasodilatation führt, d.h. zu einer Erweiterung der Gefäße.
  • Durch die Vasodilatation senkt NO den peripheren Gefäßwiderstand und damit den Blutdruck.
  • Es verhindert auch die Anheftung (Adhäsion) von Blutzellen (wie Thrombozyten) an der Gefäßwand und hemmt die Migration von glatten Muskelzellen in die Intima, was zur Aufrechterhaltung der Gefäßgesundheit beiträgt.

YEine intakte Glykokalyx und eine ausreichende NO-Produktion sind entscheidend für die Aufrechterhaltung eines normalen Blutdrucks. Eine geschädigte Glykokalyx oder eine gestörte NO-Produktion können zu endothelialer Dysfunktion führen.

Die Aufrechterhaltung dieser Mechanismen ist daher entscheidend für die Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen mit Bluthochdruck verbundenen Komplikationen.

Quellen

  1. Jedlicka, Jan, Bernhard F. Becker, and Daniel Chappell. "Endothelial glycocalyx." Critical care clinics 36.2 (2020): 217-232.
  2. Suzuki, Akio, Hiroyuki Tomita, and Hideshi Okada. "Form follows function: the endothelial glycocalyx." Translational Research 247 (2022): 158-167.

Erschienen in:

Reformleben Magazin

Ausgabe Nr. 59 (Nov./Dez. 2024)

Akut geschützt, langfristig gefährdet

Warum unser Gesundheitssystem uns nicht vor chronischen Krankheiten bewahrt

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Mag. Julia Tulipan

Mag. Julia Tulipan

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Frau Tulipan ist Biologin und Master of Science in klinischer Ernährungsmedizin. Die Liebe zur Naturwissenschaft begleitet sie schon ihr ganzes Leben und bildet die Grundlage ihrer Beratungsphilosophie.